Ein persönliches Wort

... zu Pisa und den sieben Zwergen

Wenn alljährlich im November und Dezember die Herbst- den Winterstürmen weichen und das harte Grau des steinernen Hamelner Rathausplatzes vom weichen Weiß einer Schneedecke überzogen wird, ziehen mit den tanzenden Flocken auch die wunderreichen Figuren und Gestalten der Brüder Grimm ins Theater ein – mit dem Weihnachtsmärchen des Landestheaters Detmold und Tivis Märchenspiel.

Was (aus gutem Grunde) immer wiederkehrt, wird Tradition und damit leicht in seiner Bedeutung für Gegenwart und Zukunft unterschätzt. Doch „Aschenbrödel“ (Detmold) und „Schneewittchen“ (Tivis), das diesjährige Märchen-Duo, bescherten dem Theater nicht nur einen großartigen Publikumserfolg mit begeisterten Kindern, Eltern und Großeltern in 15 ausverkauften Vorstellungen, sondern boten neben hinreißendem Spiel und liebevoll gestaltetem Bühnen- und Kostümbild auch manch fortschrittlichen Denkanstoß.

So musste ein wahrlich selbstbewusstes Aschenbrödel ihren Traumprinzen nicht gleich ehelichen, sondern konnte ihn erst einmal zum Freund gewinnen, und Schneewittchens sieben kleine Männer waren, was ihre Bühnenpräsenz und Sprachgestaltung anbelangten, eher Riesen als Zwerge!

Ich wage die Prognose: Hätte sich die aktuelle Pisa-Studie an Schneewittchens Gefährten und Beschützer gehalten – Johann Danielsen, Jakob de Boer, Katharina Göthlich, Greta Mende, William Streich, Janosch Umbach und Caja Zibuhr – würde Deutschland hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucksvermögens von Kindern und Jugendlichen vor Optimismus überschäumen!

Was wieder einmal unterstreicht, dass ein Theater viel mehr ist als eine kommunale „freiwillige Leistung“. Es ist eine der besten Schulen für die Entwicklung von starken und sich selbstbewusst artikulierenden Persönlichkeiten, die nicht nur der Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch unsere Gesamtgesellschaft dringend brauchen.

Wolfgang Haendeler Theaterdirektor